Ich hatte gestern ein sehr langes & intensives Gespräch mit einer Kommilitonin von mir - ihres Zeichens Ägypterin und gemäßigte Muslima. Ihre Religiosität würde ich in etwa mit der meinigen vergleichen.
Nach harmlosen Themen am Anfang sind wir über Umwege zu der Frage "Radikaler Islamismus/der Iran - eine Bedrohung für die Welt?!" gekommen. Es war erstaunlich, welch unterschiedliche Ansichten wir zu diesem Thema doch hatten. Und dies obwohl wir uns beide als gemäßigte Vertreter unserer Religionen/Kulturen bezeichnen würden und sie selbst seit nunmehr zehn Jahren mit ihrer Familie hier im durch und durch westlich orientierten Neuseeland lebt.
Obwohl der Islam für uns Europäer als Ordnungssystem der arabischen Welt feststeht und wir meinen, vor dem Hintergrund dieser Weltreligion das Verhalten arabischer Staaten wie Iran, Syrien und Irak deuten zu können, so wissen wir doch eigentlich nichts! Warum zum Beispiel nehmen wir ebenso islamische Länder wie Indien und Bangladesch, in welchen zahlenmäßig sogar noch eine größere Anhängerschaft des Islamismus lebt
(Quelle: Wikipedia), nicht als Bedrohung war? Ist dies tatsächlich nur die Frage ob Schiit oder Sunnit? Warum basieren unsere Weltreligionen eigentlich auf den gleichen Propheten und erweitern deren Verkündigungen nur peripher?
Was für die westliche Welt aktuell der Iran, ist für den Nahen Osten seit Jahren Israel (respektive US-Amerika). Vor dem Hintergrund eines Angriffes unter dem Schutzschild der schweigend zurückstehenden Alliierten schätzt z.B. Syrien als Land mit Landesgrenzen zu Israel und zum Irak/Iran den starken muslimischen Bruder als Art "Gegengewalt", um nicht kommentarlos von Israel überrannt zu werden. Auch die jüngsten Feldzüge Israels, welche in unseren Medien als gerechtfertigt erscheinen, erweisen sich auf den zweiten Blick mitunter als gegenstandslos. Vielmehr schürt sich im gesamten Nahen Osten seit Jahren eine kochende Gewalt unter der westlichen Behandlung/Ungerechtigkeit, durch welche radikale Islamisten wie Al-Qaida mehr und mehr Zuspruch fanden/finden. Bis zu dem Zeitpunkt, als 9/11 als Akt des absoluten Aufbäumens die westliche Welt erschüttern und den nahen Osten Gerechtigkeit erleben ließ! Inwieweit die US-Regierung von diesen Plänen wusste oder nicht, ist ein anderes Thema und die Basis weitreichender Verschwörungstheorien (welche allerdings zu Recht ihre Rolle in meinem Politics-Kurs "Great Power Relations" spielen).
Inwieweit Mahmud Ahmadenischad nun eigentlich nur ein altruistischer Philanthrop seines Landes ist und wirklich nur Gerechtigkeit sucht, möchte ich nicht beurteilen. Seine neusten Äußerungen lassen mich allerdings das Gegenteil vermuten. Wobei wir ehrlich zugeben müssen, dass wir dies keinesfalls objektiv beurteilen können. Jegliche Informationen zu diesen Themen erfahren wir aus unseren westlichen Medien per Übersetzung. Inwieweit Medien als Filter und Gatekeeper fungieren, vermag ich vor dem Hintergrund meines Studiums mehr als deutlich zu sagen. Selbst Übersetzungen der Sprachen, welche ich verstehe, lassen mich häufig am klaren Bewusstsein des Übersetzers zweifeln. Auch wenn man den arabischen Nachrichtensender
Al Jazeera aufmerksam verfolgt (was ich wirklich nur empfehlen kann), so lassen sich häufig Abweichungen von der Berichterstattung der westlichen Medien erkennen. Und entgegen der landläufigen Meinung würde ich Al Jazeera nach meinen bisherigen Kenntnissen keinesfalls als radikal islamistisch einstufen. Womit wir zum Fazit unseres Gespräches kommen: "The power of media is uneasily frightening!"
Unser Gespräch führte uns letztlich noch über die Frage, ob Demokratie das richtige Staatssystem für alle Länder dieser Erde ist (1), bis hin zu den Generationenverträgen unserer Nationen (2).
1. Sie bezweifelt, dass Demokratie in einem solch unterentwickelten Land wie Ägypten, mit einfach zu beeinflussenden, "undereducated" Massen das richtige Staatssystem ist. Aktuell eine Präsidialrepublik mit einem Staatspräsidenten, welcher das Land seit nunmehr 28 Jahren regiert, werden Parteien wie die "Muslim Brotherhood" mit einem älter und schwächer werdenden Präsidenten mehr und mehr zur Gefahr, gibt sie zu. Ich glaube, gerade die deutsche Geschichte lehrt uns hier ähnliche Entwicklungen bzw. die Sehnsucht nach einem starken Führer in den ersten Ansätzen der Demokratie nach dem Ende des ersten Weltkrieges/der Weimarer Republik.
2. Nationale Generationenverträge als letztes Thema wurde erst recht spannend, als ihre chinesische Freundin zum Gespräch dazukam. Während "der Auszug" in der westlichen Welt größtenteils als Unabhängigkeitserklärung und Start eines eigenen Lebens angesehen wird, so ist dies im Nahen Osten bzw. erst recht in Asien absolut undenkbar. Obwohl beide liebend gerne aus ihrem Elternhaus ausziehen würden, würden sich beide dies niemals trauen und suchen vor diesem Hintergrund eher nach Arbeitsplätzen in der weiten Welt (Kanada, etc.) um unter diesem Vorwand das Haus verlassen zu können. Der Gedanke ist klar: Die Generationen wohnen unter einen Dach, sorgen füreinander und das, was die Groß-/Eltern in die Erziehung gesteckt haben, erwarten sie im Alter zurück. Eigentlich simpel, bis auf die Tatsache, dass 25-jährige, eigentlich westlich emanzipierte Frauen zuhause wohnen müssen. Und dies ist definitiv kein Einzelfall.
Nach langem Gespräch und vier Stunden später haben sich unsere Wege nach einer erneute Essensverabredung dann getrennt. Ich bin den Rest des Tages wohl noch ziemlich verwirrt und beeindruckt durch die Uni gelaufen. Obwohl ich nicht allen dieser Thesen persönlich zustimme, so gibt es mir doch mehr als zu denken. Have to meet her again ...